DREI GENERATIONEN PRÄZISION - Das Familienunternehmen Comet aus dem Saarland
In St. Ingbert, unweit der französischen Grenze, schlägt seit Jahrzehnten ein Herz für Präzision, Beständigkeit und Innovationskraft – im Familienunternehmen Comet. Gegründet unter dem ursprünglichen Namen Saar Schleifmittel, reicht die Geschichte des Unternehmens zurück bis in die Nachkriegszeit, als Dr. Werner Seidel sen., der Großvater des heutigen Geschäftsführers Ingo Seidel, den Grundstein legte. Nach dessen tragischem Unfalltod übernahm seine Ehefrau – mit vier kleinen Kindern – mutig die Leitung und führte das Unternehmen fast 25 Jahre lang mit bemerkenswerter Entschlossenheit und Weitsicht weiter. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Kraft familiären Zusammenhalts und gelebter Verantwortung. Einer ihrer Söhne, Dr. Werner Seidel jun., prägte als Geschäftsführer über drei Jahrzehnte hinweg maßgeblich die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens und führte das familiäre Erbe in die Zukunft.
Seit 2001 steht Ingo Seidel an der Spitze von Comet – mittlerweile in der dritten Generation.
Mit Weitblick, technologischem Anspruch und tiefem Respekt vor der Geschichte seines Hauses führt er das Unternehmen in eine moderne Zukunft. Der Wandel vom regionalen Namen „Saar Schleifmittel“ zum international verständlichen und einprägsamen „Comet“ symbolisiert diesen Schritt: Denn wo geschliffen wird, fliegen Funken – und Funkenflug bringt Bewegung, Licht und Richtung.
Comet fertigt Hochleistungsschleifscheiben und Präzisionsschleifwerkzeuge, die weltweit gefragt sind. Dabei steht das Unternehmen exemplarisch für die Stärken inhabergeführter Familienbetriebe: Langfristiges Denken, persönliche Verantwortung, kurze Entscheidungswege und eine tiefe Verbundenheit mit Mitarbeitern, der Region und den Kunden.
Comet zeigt eindrucksvoll, dass Tradition und technische Neuentwicklung kein Widerspruch sein müssen – sondern ein Erfolgsmodell darstellen können. Ingo Seidel stellt sich den Fragen der Redaktion im Gespräch.
DIAMOND BUSINESS: Herr Seidel, war es schon früh Ihr persönliches Ziel, Teil von Comet zu werden, die Unternehmensnachfolge anzutreten und die Comet-Firmengeschichte aktiv mitzugestalten?
Ingo Seidel: Der Weg zu Comet war nicht von langer Hand geplant, ergab sich aber aus einer Reihe zufälliger Ereignisse und wohlüberlegter Entscheidungen. Nach meinem Wirtschaftsingenieurstudium in Karlsruhe wollte ich meine Kenntnisse um eine internationale Perspektive
erweitern und studierte daher Betriebswirtschaft in Straßburg. Nach dem Abschluss sammelte ich zwei Jahre Berufserfahrung in Baden-Württemberg. In dieser Phase wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, neben der fachlichen Herausforderung auch langfristige Perspektiven und Standortfaktoren in die Karriereplanung einzubeziehen.
Die Grenzregion hier im Saarland bot für meine französische Frau und mich attraktive Möglichkeiten, und genau zu diesem Zeitpunkt machte mich mein Onkel auf eine Vakanz bei Comet aufmerksam:
Ein Prokurist ging in den Ruhestand – und es wurde jemand mit betriebswirtschaftlicher Kompetenz gesucht. Ich wechselte also aus einem größeren Unternehmen mit rund 400 Mitarbeitenden zu Comet mit damals 35 Mitarbeitenden. Die überschaubare Größe, verbunden mit unternehmerischer Verantwortung und Entwicklungspotenzial, reizte mich sehr. Und als gebürtiger Saarländer habe ich mich in der Region auch sofort wieder zu Hause gefühlt. Heute, fast 30 Jahre später, kann ich sagen: Es war genau die richtige Entscheidung.
Herr Seidel, als Sie zu Comet kamen, stammten Sie ursprünglich aus einer anderen Branche. Wie herausfordernd war es für Sie, sich in die Welt der Schleiftechnik einzuarbeiten – und wie lange hat es gedauert, bis Sie das Produkt wirklich verstanden haben?
Ehrlicherweise bin ich auch heute noch nicht ganz durchgedrungen. Die Vielfalt an Anwendungen ist schlichtweg enorm. Gerade wenn man denkt, man
hat schon alles gesehen, stößt man auf neue Einsatzgebiete: Schleifscheiben, die Eisenbahnschienen bearbeiten, dann wieder solche, die Skier präzise
in Form bringen oder sogar hochsensible Bauteile wie den Auslöser eines Airbags schleifen. Was ich besonders spannend finde: Man kann viel Wissen
von einer Anwendung auf die Nächste übertragen, lernt dabei aber ständig dazu. Diese Kombination aus Erfahrung und kontinuierlicher Weiterentwicklung macht für mich den Reiz der täglichen Arbeit aus – auch nach all den Jahren.
Ihr Onkel, Dr. Werner Seidel jun., hat Sie damals als eine Art Business- Mentor und Wegbegleiter in das Familienunternehmen eingeführt. Er hatte selbst keine Kinder und sah in Ihnen einen potenziellen Nachfolger. Wie haben Sie diese gemeinsame Zeit erlebt, und wie lange durften Sie noch gemeinsam mit ihm im Unternehmen wirken?
Wir haben 15 Jahre lang eng zusammengearbeitet, und es war eine unglaublich wertvolle Zeit für mich. Er war 14 Jahre älter als ich, und wir hatten nie diese klassische Vater-Sohn-Dynamik – das hat uns sehr geholfen, ein gutes Verhältnis zu bewahren. Er kümmerte sich intensiv um die Technik, während ich mich mit Leidenschaft um den Vertrieb und die Kundenpflege kümmerte. Ich war und bin gerne bei unseren Kunden vor Ort und es hat mir immer Freude bereitet, direkt über deren Herausforderungen zu sprechen. Wir haben uns in unserer Arbeitsweise perfekt ergänzt. Es war nie so, dass ich erleichtert war, als er in den Ruhestand ging – im Gegenteil, ich hätte mir gewünscht, dass wir noch länger zusammenarbeiten. Eine seiner Weisheiten, die mir besonders ans Herz gewachsen ist, lautete: ‚Bei Comet wollen wir agieren, nicht reagieren.‘ Für ihn war es immer wichtig, die Zukunft zu gestalten, Dinge vorherzusehen und nicht einfach dem Zug hinterherzulaufen, der schon abgefahren ist. Diese Philosophie prägt mich noch heute und begleitet mich in meiner Arbeit.
In einem wettbewerbsintensiven Markt, in dem viele Mitbewerber aktiv sind, wie gelingt es Ihnen, sich von der Konkurrenz abzuheben und langfristig erfolgreich zu bestehen?
Ich möchte an dieser Stelle zunächst etwas widersprechen: Der Markt ist heute nicht ganz so unübersichtlich, wie er vielleicht einmal war. Dazu eine kleine Anekdote: Mein Onkel hatte in seiner Schublade ganz unten links eine lange Liste mit allen Werkzeugherstellern, und jedes Jahr hat er diese Liste durchgesehen. Dabei fiel auf, dass viele Hersteller entweder übernommen wurden oder den Betrieb eingestellt haben. Über die Jahre hinweg hat sich der Markt dadurch stark konsolidiert und ist mittlerweile recht überschaubar geworden. Ein großer Wettbewerbsvorteil von uns ist, dass wir uns als Systemanbieter verstehen. Das bedeutet, wir bieten unseren Kunden das vollständige Leistungsspektrum – vom Schleifen über die Abrichttechnik und Profilierung bis hin zur Unterstützung bei der Festlegung optimaler Prozessparameter an – ganz nach Wunsch. Unser Ziel ist es, ihnen einen verlässlichen Partner an die Seite zu stellen, der dafür sorgt, dass sie nachts ruhig schlafen können. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist zweifellos die Eigenfertigung. Ergänzt wird sie durch die vertrauensvolle Kooperation mit bewährten Partnern, die exklusive Spezialitäten nach unseren Rezepturen und technischen Vorgaben fertigen. Wir übernehmen die Verantwortung für die Qualität der gesamten Produktpalette und die Funktionalität im Schleifprozess.
Daneben positionieren wir uns als Nummer eins im Service. Das bedeutet, dass wir unseren Kunden von der ersten Anfrage bis zur Lieferung eine kontinuierliche Begleitung bieten. Wir haben klare Kriterien definiert, um diesen Service sicherzustellen – wie beispielsweise die kürzesten Lieferzeiten, exzellente Beratungsqualität und einen persönlichen Ansprechpartner. Dazu gehören auch unsere zehn Anwendungstechniker, die in ganz Europa unterwegs sind und direkt vor Ort unterstützen. Durch diese Nähe zum Kunden und den Austausch in der jeweiligen Landessprache fließen wertvolle Informationen direkt in die Weiterentwicklung unserer Produkte ein.
Kundennähe ist damit zu unserer DNA geworden. Wir kennen die Bedürfnisse und Gewohnheiten unserer Kunden sehr genau. Das zeigt sich auch in
unserer täglichen Arbeit: Wenn wir in den Besprechungen sitzen und die Produktion sagt, ‚Das ist ein komplexes Problem‘, dann antworte ich oft:
Perfekt! Denn wir sehen uns doch als Problemlöser.‘ Wenn unsere Kunden keine Probleme mehr haben, dann sind wir austauschbar.
Der Erfolg spiegelt sich deutlich in der beeindruckenden Entwicklung der Mitarbeiterzahl wider – von 35 auf heute 110. Was würden Sie sagen, war der entscheidende Faktor, der dieses Wachstum ermöglicht hat?
Unser Wachstum folgt einem langfristigen Plan, da wir als Familie das Unternehmen wirklich mit einer langfristigen Perspektive führen. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie wir sie momentan erleben, halten wir an unserem Team fest und behalten alle Mitarbeiter an Bord. Unser Erfolg resultiert aus einer Mischung aus internem und externem Wachstum. Einerseits haben wir durch strategische Zukäufe expandiert, andererseits haben unsere Techniker aktiv Marktanteile gewonnen, indem sie in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden Lösungen entwickelt haben. Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg ist unser Fokus auf die Mitarbeiter. Wir legen großen Wert auf ein starkes, engagiertes Team, in dem sich jeder einzelne mit dem Unternehmen identifizieren kann und einen wichtigen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leistet. Unser Wachstum basiert auf einer klaren, konsequent verfolgten Unternehmensvision. Wir fördern eine offene Kommunikation und eine Unternehmenskultur, die Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt in den Mittelpunkt stellt. Diese Werte sind die Grundlage dafür, dass wir auch in Zukunft weiterhin erfolgreich wachsen können.

Apropos strategische Zukäufe: Sie haben Elbe Schleiftechnik im Jahr 2016 übernommen und erfolgreich integriert. Was war der Beweggrund für diese Entscheidung, und welche Vorteile hat das Unternehmen dadurch gewonnen?
Elbe Schleiftechnik war ein traditionsreiches Unternehmen mit 125 Jahren Firmengeschichte und einem sehr guten Ruf am Markt. Allerdings gab es dort keine Nachfolgeregelung. Gleichzeitig war Elbe etwas anders positioniert als Comet – mit einem starken Fokus auf poröse Produkte und einer ganz eigenen Kundenstruktur. Für uns war das eine ideale Ergänzung, zumal Elbe auch über wertvolles Know-how im Bereich CBN-Schleifmittel verfügte, das uns strategisch sehr bereichert hat. Wir haben viele Jahre am ursprünglichen Standort weiterproduziert, allerdings ohne die Produktionshallen zu übernehmen. Als der Mietvertrag schließlich auslief, haben wir die Endbearbeitung, Qualitätskontrolle und den Versand in unmittelbarer Nachbarschaft neu organisiert. Alle Mitarbeiter wurden übernommen – viele von ihnen sind inzwischen in den wohlverdienten Ruhestand gegangen, und wir führen ihre Aufgaben nun schrittweise hier bei uns weiter. Für uns war dieser Schritt auch wirtschaftlich bedeutend: Wir konnten das Marktvolumen deutlich ausweiten und Synergien nutzen – etwa durch die gemeinsame Nutzung des IT-Systems, der Buchhaltung oder auch beim Auftritt nach außen, wie zum Beispiel im Imagefilm. Dabei war uns eines immer wichtig: Comet war nie derjenige, der diktiert oder dominiert. Unsere Philosophie ist es, das Beste aus beiden Welten zu übernehmen – unabhängig davon, wer am Ende die Rechnung bezahlt hat. Diese Haltung hat uns geholfen, das Know-how beider Unternehmen
sinnvoll zusammenzuführen und weiterzuentwickeln. Neben Ihrem Hauptsitz in St. Ingbert und dem Standort in Baden-Württemberg – gibt es noch weitere
Produktionsstandorte, an denen Comet aktiv ist?
Zusätzlich zu unseren beiden deutschen Standorten betreiben wir in der Schweiz ein Vertriebsbüro mit Lager, um den dortigen Markt gezielt zu bedienen. Obwohl die Schweiz ein vergleichsweise kleiner Markt ist, ist sie für uns von großem Interesse, denn sie verfügt über eine starke mechanische Industrie – gleichzeitig ist die Zoll- und Exportabwicklung mitunter recht komplex. Mit unserer Präsenz vor Ort können wir unseren Kunden deutlich näher sein und
flexibel sowie effizient reagieren. Darüber hinaus haben wir auch eine kleine Niederlassung in Italien, um auch dort den Markt direkt betreuen und unsere
Kundennähe leben zu können.
Durch Ihre Nähe zu Frankreich und Ihre französischen Sprachkenntnisse – gelingt es Ihnen dadurch, den französischen Markt gezielter zu erschließen?
Welche Vorteile bringt Ihnen das im Tagesgeschäft?
Als mein Onkel noch Geschäftsführer war, hat Saint-Gobain nach und nach alle Hersteller konventioneller Schleifscheiben in Frankreich aufgekauft – und schließlich geschlossen. Übrig blieb am Markt eigentlich nur noch der große Saint-Gobain und wir, der ‚ kleine Comet‘. Und wir haben ganz bewusst die französische Karte gespielt: Mit französischsprachigen Mitarbeitern, die Kunden am Telefon in ihrer Sprache betreuen konnten, und mit einer Logistik, die direkt ans französische Netz angeschlossen ist – das heißt, wir können bis heute ohne Aufpreis eine Lieferung am nächsten Tag anbieten. In den 1980er Jahren war Frankreich sogar unser wichtigster Absatzmarkt – noch vor Deutschland. Inzwischen hat sich das wieder gedreht, aber die enge Verbindung ist geblieben. Für viele unserer französischen Kunden ist Comet bis heute eine französische Firma – und das nehmen wir als Kompliment.
Angesichts der unmittelbaren Nähe zu Frankreich und den deutlich niedrigeren Energiekosten – stellt sich da nicht die Frage, ob ein Standortwechsel ins Nachbarland mittelfristig wirtschaftlich sinnvoll wäre?
Das Thema Energie und Energiekosten ist für unsere Branche natürlich zentral – gerade, weil wir energieintensiv produzieren. In der Energiekrise vor zwei
Jahren ist das Thema stark in den Fokus gerückt. Auch wenn sich die Preise mittlerweile wieder etwas beruhigt haben, liegen wir in Deutschland
weiterhin im internationalen Vergleich an der Spitze – leider im negativen Sinne. Wir können diese Kostennachteile aber nicht durch Preiskampf ausgleichen, sondern durch andere Stärken kompensieren. Standardprodukte, wie sie in Asien in großen Stückzahlen produziert werden, fertigen wir schon
lange nicht mehr. Unsere Stärke liegt in individuellen Anforderungen, in Speziallösungen und in der engen Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Genau da zahlt sich unsere Nähe zum Markt aus – und nicht der Preisvorteil von ein paar wenigen Euro. Was den Standort betrifft: Die Nähe zu Frankreich ist natürlich ein Faktor. Dort sind die Energiepreise, insbesondere für Gas, deutlich günstiger – und Gas ist für uns im Produktionsprozess relevanter als Strom. Die Überlegung, bestimmte energieintensive Produktionsschritte, etwa den Sinterprozess, in Frankreich durchzuführen, ist durchaus präsent. Wir prüfen solche Optionen als strategische Reserve – nicht, weil wir sofort umziehen wollen, sondern um handlungsfähig zu bleiben, falls sich die Rahmenbedingungen weiter verschärfen.
VITA
INGO SEIDEL
Ingo Seidel wurde in Saarbrücken geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre im Saarland, bevor es seine Familie berufsbedingt nach Nordrhein-Westfalen zog. Dort übernahm sein Vater die Geschäftsführung eines Unternehmens für Metallsägen. Dieser frühe Einblick in unternehmerische Verantwortung prägte auch seinen späteren Werdegang. Nach dem Abitur studierte Ingo Seidel Wirtschaftsingenieurwesen am KIT in Karlsruhe und ergänzte seine Ausbildung mit einem betriebswirtschaftlichen Studium in Straßburg – nicht nur fachlich ein prägender Abschnitt, sondern auch persönlich: Dort lernte er seine spätere Frau kennen. Beruflich startete er bei einem mittelständischen Unternehmen mit rund 400 Mitarbeitenden in Baden Württemberg, wo er wertvolle Erfahrungen in der Industrie sammelte. „Wenn man selbst Chef sein will, sollte man auch einmal einen gehabt haben“, ist seine Überzeugung. Im Jahr 2001 übernahm er die Geschäftsführung der Comet Schleiftechnik GmbH in St. Ingbert – ein traditionsreiches Familienunternehmen mit Fokus auf Hochleistungsschleifmittel. Seither führt er Comet mit dem Anspruch, technische Innovationskraft mit Nähe zu Mensch und Markt zu verbinden. Für ihn liegt der Reiz des Unternehmerdaseins im Spannungsfeld zwischen Technik und Teamarbeit: „Das gemeinsame Entwickeln – mit Kunden wie auch mit den eigenen Mitarbeitenden – ist das, was mich antreibt.“ Auch privat ist Ingo Seidel ein Mensch, der Verantwortung lebt und Nähe schätzt. Effizienz und Klarheit sind ihm wichtig – langes Verweilen im Büro war nie sein Ziel. Stattdessen war er stets präsent in der Familie,
hat mit seinen Söhnen Mathematik gepaukt, über technische Themen diskutiert oder bei Tisch über unternehmerische Fragen gesprochen. Heute kennt jeder in der Familie das Schleifscheibengeschäft nicht nur vom Hörensagen – durch eigene Ferienjobs haben alle einen Bezug zum Unternehmen entwickelt. Den Ausgleich zum Beruf findet Seidel in der Bewegung und im Miteinander. Am Wochenende steht Sport am Sonntagvormittag ebenso fest im Kalender wie gemeinsames Kochen mit der Familie. Zeit am Tisch, Gespräche, Reflexion – das ist ihm wichtig. Die Berge sind seine stille Leidenschaft: Eine Tour auf das Matterhorn oder Weißhorn – das wäre ein Traum, den er sich eines Tages erfüllen möchte.
Welche Innovationen oder Produktneuentwicklungen treiben Sie derzeit im Unternehmen voran – und in welche Richtung entwickeln sich die Anforderungen Ihrer Kunden?
Unser Ziel ist es, unseren gesunden und stetigen Wachstumskurs fortzusetzen – und das vor allem mit innovativen Produkten, die unseren Kunden echten Mehrwert bieten. Die Energie, die wir in den letzten Jahren in das Krisenmanagement während der Corona-Zeit und die Neuausrichtung im Energiebereich
investieren mussten, möchten wir nun gezielt in die Entwicklung neuer Lösungen stecken. Ein besonderer Fokus liegt derzeit auf neuen Bindungssystemen und dem Einstieg in zusätzliche Märkte. Aktuell arbeiten wir intensiv an einer spannenden Produktlinie, die wir ‚CBN easy dress‘ nennen. Dabei handelt es sich um CBN-Schleifscheiben mit besonders niedriger Kornkonzentration. Das stellt hohe Anforderungen an die Bindung, da die wenigen Körner besonders stabil eingebettet sein müssen. Der Vorteil: Diese Scheiben sind deutlich leichter abzurichten, kostenbewusster als hochkonzentrierte CBN-Werkzeuge und liefern gleichzeitig – insbesondere bei schwer zerspanbaren Werkstoffen – eine Gesamtperformance, die konventionelle High-End-Scheiben klar übertrifft. Mit dieser Produktreihe gehen wir jetzt in die Offensive und sind überzeugt, dass wir damit neue Marktanteile gewinnen können. Ein großes Thema bei uns ist derzeit die Energieoptimierung – und das nicht nur aus Kostengründen. Es geht um CO2- Einsparung, um Ressourcenschonung und natürlich auch um wirtschaftliche Effizienz. Diese Aspekte greifen alle ineinander. Deshalb beschäftigen wir uns intensiv mit Wärmerückgewinnung, Energiespeicherung und der Frage, wie wir unseren CO2-Fußabdruck weiter reduzieren können. Ein weiterer Meilenstein war die Einführung einer neuen Betriebssteuerungssoftware vor rund vier Jahren. Unser Ziel ist es, das über Jahrzehnte gewachsene Know-how, das bislang in vielen Köpfen steckt, systematisch zu erfassen und digital abzubilden. Das ist eine enorme Herausforderung – aber auch eine zentrale Investition in die Zukunft unseres Unternehmens. Denn nur wenn wir unsere Prozesse, unser Wissen und unsere Stärken digital zugänglich machen, können wir langfristig effizient, transparent und innovativ bleiben.
Wenn Sie auf die letzten 30 Jahre Unternehmensgeschichte zurückblicken, welche Phasen waren für Sie persönlich die herausforderndsten?
Rückblickend gab es einige besonders herausfordernde Zeiten. Eine der größten war sicherlich die Finanz- und Eurokrise 2009. Plötzlich brach der Markt komplett ein, und es war ungewiss, wie sich alles weiterentwickeln würde. Glücklicherweise war diese Phase nach zwei Jahren vorbei, aber sie hat uns damals stark gefordert. Ein weiteres einschneidendes Ereignis war die Corona-Pandemie. In dieser Zeit trugen wir eine enorme Verantwortung – sowohl für unsere Kunden, die wir weiterhin zuverlässig beliefern mussten, als auch für unsere Mitarbeiter, die wir vor Ansteckungen und Risiken schützen wollten.
Die Situation war geprägt von täglich neuen Informationen, die oft eine komplette 180-Grad-Wendung erforderten. Das Damoklesschwert einer möglichen Betriebsschließung, wenn sich das Virus in den eigenen Reihen ausbreitet, hing ständig über uns. Diese Ungewissheit hat mir wirklich schlaflose Nächte bereitet. Und natürlich die Phase der extrem hohen Energiepreise, insbesondere die Gaspreise, die plötzlich durch die Decke gingen. Auch diese Krise war
eine der größten Herausforderungen, mit der wir konfrontiert waren.
Mit Ihren drei mittlerweile erwachsenen Kindern stellt sich sicherlich auch die Frage nach der zukünftigen Unternehmensnachfolge. Haben Sie bereits einen Nachfolger oder Nachfolgerin im Blick?
Ich habe immer zu meinen Kindern gesagt: Wenn ihr jemals den Wunsch habt, in die Firma zu kommen, seid ihr herzlich willkommen. Aber ich habe auch betont, dass es wichtig ist, der Firma einen echten Mehrwert zu bringen – wir sind kein Unternehmen, in dem einfach jeder Platz hat. Wir wollen nur die Besten. Mein ältester Sohn hat Maschinenbau an der ETH Zürich studiert und sich mit seiner Masterarbeit auf ein sehr spannendes Thema spezialisiert: Die Zerspanung von Siliziumcarbid mit Diamant als Grundstoff für Hochleistungschips. Das ist ein Bereich mit großem Potenzial. Momentan sammelt er wertvolle Erfahrungen in der Industrie, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass er das, wenn die richtige Gelegenheit kommt, das in unserer Firma fortsetzen möchte. Er ist jetzt 26 Jahre alt, und ich weiß, dass der Weg, den er geht, nicht nur eine berufliche Entscheidung, sondern auch eine Herzensangelegenheit ist. Wir werden sehen, wohin seine Reise führt, aber ich bin zuversichtlich, dass es am Ende einen Weg geben wird, der für ihn und
für das Unternehmen passt.
Quelle | Katja Dümpert